Donnerstag, 9. Januar 2014

"Just five minutes"


- Eine Floskel, die wir hier oft zu hören bekommen und von der wir erst lernen mussten, dass sie rein gar nichts mit einer Zeitangabe im eigentlichen Sinne zu tun hat.
So etwas wie "Grad gehts nicht, vielleicht aber irgendwann später..." kommt da schon eher hin. Aber ebenfalls gilt immer die Regel "Everything is possible in India!", deswegen lohnt es sich meist, die angekündigten 5 Minuten zu warten, auch wenn sie sich jedes Mal beliebig lang dahinziehen. 
Wir sind noch keine zwei Wochen in Indien unterwegs und haben schon so viel erlebt, dass es uns viel viel länger vorkommt. Langsam lernen wir, uns zu entspannen und Geduld zu haben, denn es funktioniert irgendiwe immer alles, auch wenn es eine Weile dauert oder man darum kämpfen muss... 



Besonders einprägend waren bisher die lebhaften Städte, auf und neben deren Straßen so vieles gleichzeitig passiert, dass man nur einen Bruchteil davon aufnehmen kann. Auf unserem Weg von Delhi über Jaipur nach Pushkar und danach vom Ranthanbore Nationalpark nach Agra sahen wir aber auch die ländlichen Gebiete und die Lebensumstände der Menschen dort. 


Bauernhoefe



Viele Leute, in der Stadt wie auf dem Land, leben in einfachen Verhältnissen. In Städten werden oft oben auf den Flachdächern der Häuser nochmal kleine Hütten und Zimmer aufgebaut, in den Dörfern bestehen viele Backsteinhütten nur aus einem Raum. Dafür spielt sich das Leben zu großen Teilen ausserhalb der vier Wände ab: Gegessen und gekocht wird oft unter freiem Himmel oder unter Unterständen. In der Wüste um Pushkar herum gibt es viele Nomaden und in Gebieten nahe der Städte sieht man oft Wellblech- und Strohhütten, manche Familien leben in Zelten auf den Verkehrsinseln der großen Straßen. 
Beeindruckend sind hier die extremen Gegensätze: Armut und Luxus liegen sehr nahe beieinander, was wir direkt bei unserer Ankunft in Delhi im Wechsel von der glänzenden neuen Metro zum Obdachlosenlager zu spüren bekamen.


"Dachleben" in Jaipur


Jungs waermen sich am Feuer


Auch mit einem Bambusgeruest laesst sich eine Autobahnbruecke bauen
Nomadensiedlung bei Pushkar




Allgegenwärtig sind auch der oft herrschende Gestank und der Müll, der überall in großen Mengen herumliegt. Während man sich an die verschiedenen Gerüche - gute und schlechte - schnell gewöhnt und sie einem kaum auffallen, schockieren einen die Müllberge und -flächen, die überall dort entstehen, wo Leute leben, immer wieder aufs Neue. Der Umgang der Menschen mit der Natur ist widersprüchlich: In Pushkar wird der Tourist durch Schilder, die am vom Abfall übersäten Straßenrand stehen, darauf hingewiesen, bitte auf Plastiktüten zu verzichten - "to keep the city green and clean". Dass aber an der Stadt schon nicht mehr viel grün und sauber ist und es in der Öffentlichkeit auch nirgendwo einen Mülleimer gibt, man allen Abfall am Besten mit aufs Zimmer nimmt und der Inder offensichtlich jede Chipstüte und Plastikflasche in den nächsten Straßengraben oder Bach wirft, will dazu irgendwie nicht so recht passen...  





Eine abenteuerliche Erfahrung ist auch jede Teilnahme am indischen Strassenverkehr, egal ob zu Fuss, mit Kamelen oder an Bord eines Autos, Tuktuks oder einer Fahrradrikscha...


Milchmann




Seitenspiegel sind nur selten anzutreffen und werden noch seltener benutzt. Das könnte daran liegen, dass sie oft "abgefahren" oder zu ihrem Schutz davor eingeklappt oder abgeschraubt wurden. Im Allgemeinen werden sie in Indien auch nicht benötigt, denn der Inder schaut nicht, sondern hört, ob sich etwas von hinten nähert und ihn überholen will. Das ständige Gehupe hat also bei genauerem Hinhören durchaus Sinn und dient dazu, die voranfahrenden Verkehrsteilnehmer über das eigene geplante Überholmanöver zu informieren. Unter dem Begriff "Verkehrsteilnehmer" lassen sich in Indien alle Varianten von Zwei- und Dreirädern, normale Autos, Trucks, Esel-, Pferde-, Kamel- und Handkarren, Traktoren und verschiedene undefinierbare kleine Gefährte zusammenfassen. Ausserdem nehmen aber auch Fussgänger und ganze Menschengruppen wie Fahrzeuge am Verkehr teil und auch die ständig umherrennenden Hunde, Ziegen und (Wild-)Schweine wissen, wie das Gehupe zu deuten ist. Eine besondere Stellung nehmen hier natürlich die den Indern heiligen Kühe ein, die einfach ÜBERALL sind. Sie gehen, stehen, liegen, fressen und verrichten ihre Geschäfte dort, wo es ihnen gerade passt und haben auch ihr Recht dazu. Es ist hier völlig normal, dass sich der gesamte Verkehr an einer Horde Kühe vorbeischiebt, die sich gerade mitten auf der Straße zu einem Schläfchen nieder gelassen hat oder gemächlich über die Strasse schlendernde Kühe wohlwollend umschifft werden. 





die darf das 
Insgesamt fahren die Inder zwar halsbrecherischer, schneller und chaotischer als alle Europäer zusammen, trotzdem funktionierts aber sehr gut und nach den ersten Nahtoderfahrungen kann man sich daran gewöhnen. Denn auch wenn alle Zeichen auf Kollision stehen und im Kopf sämtliche Alarmlampen rot aufleuchten, schaffen es die indischen Fahrer immer in letzter Sekunde auszuweichen, auch wenn dafür eigentlich überhaupt kein Platz zu sein scheint. Da jeder hier versucht, weder sich noch anderen Schaden zuzufügen, herrscht auf den Strassen ein System, in dem alle miteinander fahren. Obwohl jeder irgendwie einfach irgendwo reinfährt, sieht man selten böse Gesichter oder Gesten; alle winken und gestikulieren nur, damit es schnell weitergehen kann und lächeln meist dabei.


Ein weiterer Grund, warum Seitenspiegel keine grosse Bedeutung haben, ist die Breite mancher Fahrzeuge. Hier wird naemlich in ganz anderen Dimensionen gestapelt als bei uns zu Hause. Auf ein gewoehnliches Fahrrad passen beispielsweise mehr Schuhkartons als wir daheim in einen Kleinwagen quetschen wuerden. Und auf einem normalen Motorrad finden problemlos eine vierkoepfige Familie oder drei bis vier erwachsene Maenner Platz. Lustig ist es, wenn Heu und Stroh in fuer uns unvorstellbaren Mengen auf Lastwaegen und Traktoren gepackt werden und es dann von hinten so aussieht, als wuerde ein riesengrosser Kartoffelsack ganz alleine ueber die Strasse kriechen. 








Ein erfreulicher Anblick sind jedes Mal die unglaublich bunt geschmückten und angemalten Lastwagen und Traktoren der indischen Fahrer. Hier kann es gar nicht grell und kitschig genug zugehen. Aber es werden auch Fahrraeder, Tuktuks, Kamele, Elefanten und alle anderen Verkehrsmittel möglichst auffällig dekoriert, sodass es immer etwas Neues zu sehen gibt.












Gerade in den Städten leben Mensch und Tier Seite an Seite. Die Kühe sind hier völlig selbstständig unterwegs, scheinen niemandem zu gehören und nur die wenigsten Hunde tragen ein Halsband oder Oberteil, das auf einen Besitzer schließen lässt. Einzig die Ziegen und vereinzelt auch Kühe scheinen als Nutztiere zu dienen und werden außerorts in Herden oder im Hof gehalten. Am Straßenrand jagen sich wenige Tage alte Ferkel durch den Staub, während die Schweinemama nebenan im Müllberg nach Essbarem buddelt. Vor allem aber sind in vielen Orten die Affen untrwegs, die gerne und oft von den Einheimischen gefüttert werden.